PLATTE DES MONATS
Kim Gordon: »The Collective«
Matador
Im Videoclip zum Song »BYE BYE« auf Kim Gordons jüngstem Soloalbum »The Collective« sieht man eine schlanke junge Frau mit strähnigen blonden Haaren und schicken Slacker-Klamotten, und der kundige Zuschauer fühlt sich erinnert an die achtziger Jahre, als eine andere schlanke blonde Frau bei der US-Band Sonic Youth die Basssaiten zupfte zu Lärm-Pop-Stücken wie »Death Valley ’69« und in »Flower« gegen den Gitarrenlärm der schlaksigen Jungs an ihrer Seite ansang, einer davon ihr Ehemann Thurston Moore. Bei der Frau im neuen »BYE BYE«-Video handelt es sich um Gordons und Moores Tochter Coco, die auch im zweiten Video zum Album, »I’m a Man«, auftritt und ihrer Mutter so ähnlich sieht wie ein Drum-Computer-Loop dem anderen.
Das Aussehen der Bassistin in einer Männerband in einem Männergeschäft mit überwiegend männlichem Publikum war und ist keine Nebensache. »Vieles hängt davon ab, wie das Mädchen aussieht«, schreibt Gordon über ihre Zeit als Sonic-Youth-Bassistin im autobiografischen Büchlein Girl in a Band von 2015. »Das Mädchen verankert die Bühne, saugt den männlichen Blick auf und wirft, je nachdem, wer sie ist, ihren eigenen Blick zurück ins Publikum.« Im Gegensatz zu Selbstdarstellerinnen wie der ewigen Krawallschachtel Courtney Love und der divenhaften Madonna pflegt Kim Gordon das Image der selbstbewussten Musikerin, die alles im Griff hat. Dabei sei sie »schüchtern, sensibel, verschlossen bis zu dem Punkt, dass ich keine andere Wahl hatte, als furchtlos zu werden, um meine eigene Überempfindlichkeit zu überwinden«.
Das Album, ihr fünftes als Solistin, klingt, als habe jemand das Frühwerk der Electronic-Pionierband Suicide durch den Fleischwolf gedreht. Es dominieren Drum-Computer und dissonante Synthie-Klänge, monotone, langsame Rhythmen, Gitarrenrückkopplungen und digitales Geschepper. Wie bei Sonic Youth meidet Gordon fade Strophe-Refrain-Strophe-Muster; die Texte changieren zwischen Stream of consciousness-Kaskaden (etwa im Song »Trophies«) und kurzen, ironischen Statements wie im zugänglicheren »I’m a Man«, wo die von dem Ex-Gatten Moore betrogene Künstlerin das dumme, selbstgerechte Mannsgetue pointiert wiedergibt: »Don’t call me toxic, just ’cause I like your butt!« Das erinnert an ihr Duett mit dem Sänger der schwarzen Polit-Rap-Band Public Enemy, Chuck D., im Sonic-Youth-Hit »Kool Thing« von 1990, als Gordon den »female planet« gegen den »black planet« in Stellung brachte und die mögliche Vereinigung der beiden Widerstandsbewegungen in den Raum stellte.
In »The Collective« schleppt sich die Musik meist schwerfällig voran wie im stakkatolärmigen »Tree House«, manchmal groovt sie wie im Los-Angeles-schmähenden »Psychedelic Orgasm«, dann klingt sie nach HipHop, etwa im schluderigen »The Candy House« mit vernuschelten Textzeilen und halbguten Phrasen: »I won’t join the collective, but I want to see you.« Verantwortlich für die Produktion ist der Musiker Justin Raisen, der für aktuelle Elektro-Pop-Interpreten wie Charli XCX und den Rapper Drake weithin beachtete Platten produzierte. Kim Gordons Sprechgesang liegt als dünner Film über dem schnarrigen Elektro-Klangsumpf. Dass die nebenher als bildende Künstlerin arbeitende Gordon nicht plötzlich energisch zu trällern beginnt wie die befreundete Musikerin Kathleen Hanna, mag ich ihr zugute halten. Außer in der Frühphase von Sonic Youth, namentlich im Rockstück »Cross the Breeze« auf deren erstem Major-Label-Album »Daydream Nation«, hat sie nie die Rockistin gespielt, die sie nicht ist und nicht sein mag. Sie orientiert sich, wie sie in Girl in a Band schreibt, an dem »half singing, half speaking style« der Frauenband The Shangri-Las. Alte Kettenraucher-Heroen wie Leonard Cohen und Bob Dylan traten zu Beginn ihrer Karriere ebensowenig als stimmgewaltige Sänger hervor wie Kim Gordon. Doch während sich jene Songwriter in ihrer jeweiligen Spätphase als greise Krächzer präsentierten, klingt die Alt-Stimme der Siebzigjährigen weiterhin alterslos und unbeschädigt.
Am besten zum Mitwippen geeignet ist wohl der Hit-Song »BYE BYE«, der sich des gleichen Themas bedient wie das Beatles-Stück »She’s Leaving Home«: Eine Frau verlässt das Haus, möglicherweise das Elternhaus, und zählt auf, was sie alles einpackt: »Hoodie, Zahnpasta, Bürste, (kosmetische) Foundation, Kontaktlösung, Mascara, Lippenmaske, Augenmaske, Ohrstöpsel, Reiseshampoo, Conditioner, Eyeliner, Zahnseide, Geld für die Reinigung.« Monotone Beats, hintergründiges Elektro-Gegrummel, Hi-Hat-Geschepper, gelegentliche Gitarren-Riffs schaffen einen geeigneten Rahmen für die Flucht aus der gegenwärtigen Misere, die im Fall der Künstlerin keine arge sein kann: Die Tochter gesund und munter, die Karriere läuft seit nunmehr über vier Jahrzehnten, und das Renommee in der Popwelt könnte kaum größer sein.
Das ständige Beschwören der »Coolness« Kim Gordons in einschlägigen Rezensionen wirkt indes wie eine Entschuldigung dafür, dass sich auf ihrer jüngsten Soloplatte weder lärmiger Wohlklang mit überraschenden Störelementen à la Sonic Youth noch die psychedelischen Sound-Collagen von Body/Head, ihrem Gitarren-Bandprojekt der zehner Jahre, finden lassen. Ihre Stimme klingt stoisch, die Songtexte sind unprätentiös, doch in mindestens sechs der elf Stücke des Albums fehlt der Fokus, das Industrial-Gebrodel wirkt beliebig. Im Spotify-Zeitalter ist das Album als Gesamtkunstwerk unerheblich geworden, daher seien hier die beiden »Singles« sowie »Dream Dollar« und »Psychedelic Orgasm« (das vom Kauf überteuerter Kartoffeln in L. A. handelt) empfohlen.
Peter Kusenberg