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All Greens Are Bastards

Deutschlands Spießbürger toben, seit die Covorsitzende der Grünen Jugend, Jette Nietzard, sich mit einem »ACAB«-Pulli zeigte – am lautesten aber schreit die Führungsriege ihrer eigenen Partei. Von Elena Wolf

Eigentlich ist die ganze Chose viel zu beknackt, um überhaupt darüber zu schreiben. Jede Woche sagen oder tun ein orangener Mann in den USA und seine (Ex-)Freunde irgendeine so irre oder dumme Scheiße, die man nicht glauben würde, wenn man nicht seit Corona daran gewöhnt wäre. Und auch in Deutschland ist es mittlerweile völlig normal geworden, dass Rechte hanebüchenen Quatsch in Markus Lanz’ rechterülpsegeiles Gesicht rülpsen und sich in Interviews mit dem reichsten Mann der Welt einig sind, dass Hitler Kommunist war. Lügen wurden Wahrheit. Krieg wurde Frieden. Sklaverei soll Freiheit werden, Ignoranz obsiegen. Und von den öffentlich-rechtlichen über die bürgerlichen bis zu den Trash-Medien erscheinen Storys mit klickgeilen Überschriften zu jeder noch so absurden Hirngülle in immer höherer Schlagzahl. Nach ein paar Tagen ist bekanntlich wieder Schluss. Bis die nächste Sau durch die Empörungsmaschine gewolft wird.

Okay, Wahrheit war nie die größte Stärke von Rechtsextremen. Die sind eben aktuell am Drücker. Und Medien müssen halt verkaufen. Klar. Und der Orangenmann, sein verflossener Elmo und die deutsche, gesichert rechtsextreme Parteiführerin reden ja auch wirklich am laufenden Band Quark. Aber dass Menschen im Jahr 2025 in einer Gaga-Pandemie leben würden, in der sich Polit- und Finanzeliten überhaupt keine Mühe mehr machen müssen, offensichtlich Falsches als wahr zu verkaufen, und die Welt ernsthaft darüber diskutiert, ob Hitler Sozialist oder Kommunist war, stand wahrscheinlich nicht einmal auf der Bingokarte von Polemikpapst Hermann L. Gremliza. Falls doch, gerne mit Quellenangabe per Leserbrief an die Redaktion. (Spaß! Um Gottes willen bitte keine digitalisierten Analogfotos von Gremliza-Textstellen auf CD-ROM brennen und schicken. Bitte einmal durch die Jogginghose atmen und nicht auf jeden, fast täglich durchrauschenden Empörungszug aufspringen.)

Stichwort: Jette Nietzard – die Ikkimel des deutschen Politikzirkus. Ja, genau: Die 26jährige Bossbitch der Grünen Jugend, die im Mai ein Selfie in ihrer Instagram-Story gepostet hatte, auf dem sie zum obligatorischen Duckface einen petrolfarbenen (steht ihr gut!) Pulli mit einem kleinen »ACAB«-Logo im Stil des Adidas-Logos trug. »ACAB« bedeutet »All Cops Are Bastards«. Schon tausendmal online wie offline auf Shirts und Buttons gesehen. Seit anno punkzumal unendlich oft gehört. Ideologisch traditionell links verortet. Im Steinbruch des linksliberalen Post-Pop zum Etsy-Item verkommen.

Allein auszuführen oder gar zu begründen, warum »ACAB« eine völlig legitime Bekundung ist, würde der reaktionären Dampfplauderei recht geben, derzufolge sich Menschen irgendwie zu verteidigen hätten, die sie tätigen. Und jetzt ist sie sogar bei einer Grünen angekommen. Haha. Das hat die Polizei nicht verdient. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im Jahr 2016 geurteilt, dass »die Kundgabe der Buchstacbenkombination ›ACAB‹ im öffentlichen Raum … vor dem Hintergrund der Freiheit der Meinungsäußerung nicht ohne weiteres strafbar« ist, weil schlichtweg keine Beleidigung vorliege, die bestimmte Personen benenne. Ein Schuh, so alt wie Franz Josef Wagners Weinbrand.

Da der Dauerempörungszug aber höchste Eisenbahn hat und ein ständiger Erregungszustand nicht nur durch obsessiven Pornokonsum dazu führt, dass immer härteres Material gebraucht wird, um überhaupt noch irgendwas zu spüren, musste Nietzard natürlich eine Woche lang fürs obligatorische Empörungswichsen in Politik und Medien herhalten. Und das nicht nur in Wagners »Bildzeitung« und bei Wein- sowie Reichstagskönigin Julia Klöckner (CDU), bei sämtlichen Parteigrößen und den üblichen Verdächtigen der ganz normalen bürgerlich-rechten Presse wie Nikolaus Blome. Der hat in seinem Hirnstübchen für eine seiner jüngsten Kolumnen mal wieder mit Fäkalien gemalt und Nietzard im »Spiegel« kurzerhand mit Neonazis verglichen, die ja auch »das System« hinter einzelnen Menschen hassen würden.

Ganz vorne mit dabei beim Staffellauf der Berufsempörten waren die Grünen selbst. Grünen-Chef Felix Banaszak fand Nietzards »ACAB«-Pulli-Selfie »inakzeptabel«, sein Stellvertreter Konstantin von Notz plärrte auf X, Nietzards Foto sei ein »völlig unterirdischer, inakzeptabler und beleidigender Take für alle Polizistinnen und Polizisten«, und auch die sonst für ihre kessen Sprüche bekannte Ricarda Lang hält »ACAB« für »kompletten Schwachsinn«, weil sie in den vergangenen Jahren nur noch politisch arbeiten konnte, weil sie »vom BKA geschützt« worden ist. Alle waren sich einig: Jette geht gar nicht. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann legte ihr den Rücktritt nahe, und auch Cem Özdemir nutzte die Causa, um sich für die Nachfolge Kretschmanns in Stellung zu bringen: »Die Polizei verteidigt in höchstem persönlichen Einsatz jeden Tag Werte, die uns als Partei ausmachen. Wer das nicht kapiert, ist bei uns falsch«, biederte sich Özdemir auf X in hyperassimilierter Kartoffelrage an. Und er hat vollkommen recht.

Nietzard ist in der falschen Partei. Denn der Shitstorm um »ACAB« zeigt herrlich unfreiwillig, was für ein reaktionärer Verein die Grünen sind, die in blanker Panik, konservative Wählerschaft zu verlieren, alles abgestoßen haben, was mal mit Stricken im Plenarsaal anfing. Nietzard bedroht die im vergangenen Wahlkampf formvollendete Verspießbürgerung der Grünen, und das muss bestraft werden. Doch das Dümmste an der ganzen Nummer ist nicht der Shitstorm um die Modepunkerin Nietzard. Das Dümmste ist, dass Nietzards »ACAB«-Pulli das rechte Gaga-Narrativ nährt, Grüne hätten irgendwas mit Linken zu tun – die größte Schmeichelei, die Rechten Grünen antun können, um deren verzerrte Selbstwahrnehmung zu befördern. Und mit jedem weiteren Selfie, das Nietzard der Öffentlichkeit androht (»Ich habe noch ein paar andere Pullis im Schrank«), wacht ein rechter Clown mehr morgens auf, der glaubt, wenn er irgendwas mit »linksgrünversifft« ins Internet wichst, Grüne zu beleidigen.

Elena Wolf schrieb in konkret 4/25 über die Ausstellung »PROTEST!« im Landesmuseum Stuttgart

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